W.R.A.P.-Prozess

Entscheidungen zu treffen ist eine zentrale Fähigkeit im beruflichen und privaten Leben. Doch oft unterliegen wir kognitiven Verzerrungen und emotionalen Einflüssen, die unsere Entscheidungsqualität negativ beeinflussen können. Um diesem Problem entgegenzuwirken, wurde die W.R.A.P.-Methode entwickelt, die einen strukturierten Ansatz zur Entscheidungsfindung bietet. Diese Methode ist besonders hilfreich, um systematisch zu besseren und fundierteren Entscheidungen zu gelangen. Der Begriff W.R.A.P. ist ein Akronym, das für Widen your Options, Reality-Test your Assumptions, Attain Distance before Deciding und Prepare to be Wrong steht.

Widen your Options (Optionen erweitern)

Ein häufiges Problem bei der Entscheidungsfindung ist die sogenannte Engstirnigkeit oder das „Schwarz-Weiß-Denken“. Menschen neigen dazu, sich auf nur eine oder zwei Alternativen zu konzentrieren, was den Spielraum für kreative Lösungen erheblich einschränkt. Dies nennt man den „Engpass-Effekt“ oder die „Entweder-Oder-Falle“.

Um diese Einschränkung zu vermeiden, betont der erste Schritt der W.R.A.P.-Methode die Notwendigkeit, den Horizont zu erweitern. Anstatt eine Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten zu treffen, sollte man sich bewusst darum bemühen, zusätzliche Optionen in Betracht zu ziehen. Dies könnte durch die Frage „Was könnten wir noch tun?“ oder durch das Betrachten ähnlicher Situationen geschehen, in denen alternative Ansätze erfolgreich waren.

Techniken zum Erweitern von Optionen

-Multitracking: Anstatt nur eine Option zu verfolgen, sollten mehrere Optionen parallel untersucht werden. Dies erhöht die Flexibilität und minimiert das Risiko von Fehlentscheidungen.

-Opportunity Cost: Sich bewusst machen, dass jede Entscheidung auch einen Preis hat – die entgangenen Alternativen. Das Infragestellen, welche Chancen durch das Verwerfen anderer Optionen verloren gehen könnten, kann neue Perspektiven eröffnen.

-Vanishing Options Test: Sich vorstellen, dass alle bestehenden Optionen plötzlich verschwinden. Was würde man dann tun? Dieser Gedankentrick hilft, verborgene Möglichkeiten ans Licht zu bringen.

Reality-Test your Assumptions (Annahmen überprüfen)

Menschen neigen dazu, Entscheidungen aufgrund von Vorurteilen, Annahmen oder Wunschdenken zu treffen. Dies führt oft dazu, dass wichtige Fakten übersehen werden oder die Realität falsch eingeschätzt wird. Der zweite Schritt der W.R.A.P.-Methode konzentriert sich darauf, unsere Annahmen einem Realitätscheck zu unterziehen.

Das Ziel ist es, möglichst objektive Informationen zu sammeln und Annahmen zu hinterfragen. Hier kann es hilfreich sein, Feedback von anderen Personen einzuholen, insbesondere von denen, die eine kritische oder gegensätzliche Meinung haben. Eine besondere Technik, um die Realität zu testen, ist das Einholen von Disconfirming Evidence – also gezielt nach Beweisen zu suchen, die die eigene Hypothese widerlegen könnten.

Techniken zum Überprüfen von Annahmen

-Outside View: Oftmals neigen Menschen dazu, zu stark auf ihre eigene Perspektive oder auf kurzfristige, spezifische Informationen zu setzen. Ein Blick auf ähnliche, externe Fälle (der „Outside View“) kann dazu beitragen, objektivere Einschätzungen zu erhalten.

-Feldtests und Prototypen: Um die Machbarkeit einer Option zu testen, sollten kleine Experimente oder Prototypen durchgeführt werden. Diese realen Tests liefern wertvolle Informationen und helfen, theoretische Annahmen zu überprüfen.

-Checklists: Systematische Checklisten können helfen, keine wichtigen Überprüfungen zu übersehen und sicherzustellen, dass Annahmen validiert wurden.

Attain Distance before Deciding (Distanz gewinnen)

Emotionale Bindungen und kurzfristige Gefühlslagen können Entscheidungsprozesse stark beeinflussen. Der dritte Schritt der W.R.A.P.-Methode hebt die Bedeutung hervor, vor einer endgültigen Entscheidung emotionalen und zeitlichen Abstand zu gewinnen. Wenn wir direkt im Geschehen sind, lassen wir uns leicht von unmittelbaren Eindrücken leiten, was den Blick auf das langfristige Ziel trüben kann.

Eine gute Methode, um diese Distanz zu schaffen, ist die „10/10/10-Regel“. Dabei stellt man sich die Frage: Wie werde ich in 10 Minuten, 10 Monaten und 10 Jahren über diese Entscheidung denken? Diese Technik hilft dabei, die emotionale Kurzfristigkeit auszugleichen und die Entscheidung im Kontext einer langfristigeren Perspektive zu bewerten.

Techniken zur Distanzierung

-Beraterperspektive: Sich vorstellen, dass man einem Freund oder Kollegen Ratschläge gibt. Dieser Wechsel der Perspektive hilft, die eigene Situation objektiver zu betrachten und emotionale Verzerrungen zu reduzieren.

-Pause und Reflexion: Statt eine Entscheidung sofort zu treffen, sollte man sich eine Pause gönnen, um alle Informationen noch einmal in Ruhe zu reflektieren. Selbst eine kurze Bedenkzeit kann helfen, die Klarheit zu verbessern.

-Zukunftsprognose: Szenarien entwerfen, wie sich die Entscheidung in der Zukunft auswirken könnte. Dies zwingt dazu, die Langzeitfolgen zu berücksichtigen und nicht nur auf kurzfristige Vorteile zu achten.

Prepare to be Wrong (Vorbereiten, falsch zu liegen)

Auch mit den besten Methoden und Absichten gibt es keine Garantie, dass Entscheidungen immer richtig sind. Der vierte und letzte Schritt der W.R.A.P.-Methode betont daher die Bedeutung, sich auf das Scheitern vorzubereiten und einen Plan B zu haben. Die Zukunft ist unsicher, und es ist essenziell, flexibel auf unvorhergesehene Herausforderungen reagieren zu können.

Statt zu glauben, man könne jede Eventualität im Voraus absehen, sollte man sich darauf konzentrieren, einen widerstandsfähigen Plan zu entwickeln, der auch bei Fehlern oder unerwarteten Ereignissen Anpassungen erlaubt.

Techniken zur Fehlerprävention und -bewältigung

-Pre-Mortem: Man stellt sich vor, dass die Entscheidung bereits getroffen wurde und gescheitert ist. Anschließend überlegt man, welche Faktoren zum Scheitern geführt haben könnten. Diese Übung hilft, potenzielle Schwächen im Plan zu identifizieren und proaktiv Maßnahmen zu ergreifen.

-Stolpersteine antizipieren: Durch das Vorab-Durchdenken möglicher Hürden oder Stolpersteine kann man gezielt Gegenmaßnahmen entwickeln, um im Fall der Fälle vorbereitet zu sein.

-Red Teaming: Ein Team von „kritischen Beobachtern“ wird gebeten, die Entscheidung oder den Plan aggressiv zu hinterfragen. Diese Technik stellt sicher, dass alle Risiken und Schwächen ans Licht kommen.

Die W.R.A.P.-Methode bietet einen strukturierten und umfassenden Ansatz, um bessere Entscheidungen zu treffen. Indem man den Fokus erweitert, Annahmen realitätsnah überprüft, Distanz gewinnt und sich auf mögliche Fehler vorbereitet, lassen sich kognitive Verzerrungen und emotionale Fallen minimieren. Vor allem in komplexen oder hochriskanten Situationen ist die Methode ein wertvolles Werkzeug, um Entscheidungen mit einem höheren Maß an Objektivität und Weitblick zu treffen.

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